Das Herzstück der Fünf-Lagunen-Nahuel-Huapi-Traverse haben wir in 2 Etappen geteilt.
Nach erlebnisreichen Auf- und Abstiegen am Vortag steht uns heute der schwierigste Teil des gesamten Trekkings bevor, der Abstieg vom Cerro Cristal zur Laguna Cretón.
Aber wir dürfen auch einen der schönsten Ausblicke genießen – und das bei Sonnenschein.
Wanderung Mallín del Mate Dulce - Laguna Cretón
Heute schaffen wir es doch tatsächlich, unterwegs zu sein, bevor die Sonne senkrecht steht.
Frühmorgens sind die umliegenden Berge in dicke Wolken gehüllt. Bei wärmendem Mate beraten wir uns, ob wir den Aufstieg wagen oder besser abwarten sollen. Wir haben Glück, und noch während wir diskutieren, lichtet sich die Wolkenwand.
Bald steigen wir dem blauen Himmel entgegen.
Heute ist der Tag, der mir in der Vorbereitungs- und Planungsphase regelmäßig Bauchschmerzen verschaffte.
Heute ist auch der Tag, an dem ich mich mehr als einmal sagen höre: „Das geht nicht!“ und „Das kann ich nicht!“
Und heute ist der Tag, an dem ich in Glückshormonen baden werde.
Das weiß ich aber noch nicht, als wir vom Mallín de las Vueltas zum Cerro Cristal aufsteigen.
Aufstieg zum Cerro Cristal
Das Gelände ist weiterhin steil und steinig, aber ich finde den Aufstieg weniger anstrengend als den Aufstieg zum Cerro CAB.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass er bei Weitem nicht so exponiert ist.
Zwischen den Felsen blühen viele Blumen in kräftigem Gelb, Rot und Violett.
Drei Kondore kreisen über unseren Köpfen und beobachten uns mit Argusaugen.
Während das Mallín unter uns kleiner wird, kommen erste Schneefelder in Sicht.
Wir wähnen uns schon am Gipfel, aber das ist ein Trugschluss. Der Aufstieg zieht sich weiter und weiter.
Nichtsdestotrotz legen wir eine kurze Rast ein und bewundern den spitz zulaufenden Gipfel des Cerro Cumpleaños.
Da wir die Etappe gesplittet haben und früh los sind, gönnen wir uns am Bergkamm, dem höchsten Punkt des heutigen Tages, eine lange Pause. Über eine Stunde sitzen wir sprachlos schweigend dort.
Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper, als wir oben ankommen und einen ersten Blick auf das atemberaubende Panorama erhaschen.
Um den Tronador tanzen ein paar Wolken, mal höher, mal tiefer. Für ein paar Minuten sind sie fast verschwunden und wir sehen seine blau schimmernden Gletscher.
Wohin wir auch schauen, die Anden liegen uns zu Füßen, dazwischen grüne namenlose Täler.
Links liegt die Laguna Cretón, unser heutiges Ziel.
Ausblick vom Cerro Cristal:
Abstieg vom Cerro Cristal zur Laguna Cretón
Mit ein paar Nüssen stärken wir uns für den Abstieg. Noch ein Foto vom Tronador, dann darf die Kamera in den Rucksack.
Was die Fotos unten nicht verraten:
Über Felsen, Steine und loses Geröll geht es steil, sehr steil nach unten.
Die Felsen sind feucht und rutschig. Hier ist vollste Konzentration gefragt. Langsam und mit großer Vorsicht setzen wir einen Fuß vor den anderen, die Hände sind ebenfalls voll im Einsatz.
Viele Steine sind lose und verabschieden sich donnernd gen Tal.
So könnte es auch uns gehen, wenn wir einen Fehltritt machen, schießt es mir durch den Kopf.
Ich bleibe stehen, atme tief ein und aus.
Für derartige Gedanken ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.
Den Abgrund ständig im Blick verfluche ich das sperrige Ding auf meinem Rücken, das mich aus dem Gleichgewicht zu bringen droht.
Immer wieder stehe ich vor großen, glattgeschliffenen Felsbrocken und denke, es ist unmöglich, hinüber zu klettern.
Die chicos beweisen eine Engelsgeduld mit mir. Sie zeigen mir, wo ich Hände und Füße platzieren muss, um sicher abzusteigen und reden mir gut zu. Eine der letzten großen Herausforderungen ist der Abstieg über eine stark geneigte Felsplatte.
Den Blick in die Tiefe sollte man hier unbedingt meiden (sofern möglich), wenn man wie ich zu Schwindel neigt.
Ich zweifle stark an mir selbst und weiß nicht, wie ich hinunterkommen soll.
Auch da kommen mir meine Freunde zur Hilfe. Sie nehmen mir meinen Rucksack ab.
Ohne "dieses schwere Ding“ auf dem Rücken erscheint plötzlich alles ganz leicht.
Danach ist es bald geschafft.
Wir freuen uns, als wir weichen Mallín-Boden unter unseren Füßen haben und zum Cerro Cristal hinaufblicken.
Der Abstieg sieht von hier unten lächerlich einfach aus.
Sichtlich erleichtert (und ich für meinen Teil auch mächtig stolz) marschieren wir weiter.
Den schwierigsten Teil der Traverse haben wir hinter uns!
Der Abstieg ist aber noch nicht vorbei.
Durch das Mallín geht es weiter steil nach unten. Mehr als einmal rutschen wir auf dem feuchten Boden aus und landen auf dem Hintern.
Aber das ist pures Vergnügen im Vergleich zu dem Abstieg, den wir hinter uns haben.
Laguna Cretón
In einem kleinen Lenga-Wald unterhalb der Laguna Cretón ist die erste Camping-Möglichkeit erreicht.
Wir steigen aber noch die letzten Meter hinauf und schlagen die Zelte am Ufer der Lagune an einem halbwegs windgeschützten Ort auf.
Denn der bläst inzwischen richtig schön patagonisch.
Wir füllen unsere Wasserflaschen in der Lagune auf und kochen ein köstliches 2-Gänge-Menü. Es gibt herrlich heiße Tütensuppe und Reis.
Unter dem funkelnden Sternenmeer stehend blicke ich erleichtert und überglücklich zum Cerro Cristal.
Wandern mit Höhenangst
Schon als Kind haben mich meine Eltern in die Berge geschleppt.
An einem jener fernen Allgäu-Sonntage unterhalb des Gipfels fühlte ich sie zum ersten Mal: die Angst.
Angst vor der Tiefe, der Höhe, dem Sturz ins Leere, dem Aufprall.
Innere Konflikte, die jeder mit sich herumträgt, werden am Berg besonders laut.
Jede Bergtour ist ein Sich-Auseinandersetzen und im besten Fall Loslassen dieser Konflikte im Kopf. Aber das braucht Zeit und Übung.
Vor allem muss man bereit sein, sich von den Vorstellungen anderer zu lösen.
In einem Patagonien-Wanderführer lese ich etwas über einen "mittelschweren" Weg im Nationalpark Nahuel Huapi, der jedoch "problemlos zu begehen ist".
Panische Angst auf einem anscheinend "stinknormalen" Bergpfad bekommen?
Klappt bei mir hervorragend!
Sorgte nur leider auch lange Zeit für sehr viel Frust.
Es war ein prägendes Angst-Erlebnis vor ein paar Jahren, als ich an genau jener "stinknormalen" Stelle zwischen Schnee und Felsen einen entscheidenden Fehler machte - wohlwissend, dass das in die Hose gehen würde: Ich blickte den steilen Hang nach unten.
Eine innere Stimme wurde mit jeder Sekunde lauter.
Schließlich schrie sie mir ins Ohr: Du kommst hier nie wieder runter! Weiter hinauf über diese immer steiler werdenden Felsen auch nicht!
In diesem Moment der vermeintlichen Klarheit brach alles über mir zusammen.
Ich muss hierbleiben!
Es geht weder vor noch zurück!
Ich begann zu zittern, konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, brach in Tränen aus, atmete unkontrolliert und panisch.
Seither hatte ich so viel Angst vor angeblich "stinknormalen" Wanderwegen, dass sich zur Angst die Angst vor der Angst gesellte.
Ich begann, mich damit auseinanderzusetzen.
Jahrelang, jeden Tag.
Dazu Atemübungen. Etwas ausgesetztere Wege im heimischen Allgäu ausprobieren.
Wann immer es möglich war, suchte ich die Konfrontation mit der Angst.
Die Entscheidung, die 5-Lagunen - eine der schwersten Wanderungen des Nahuel Huapi - anzugehen, war von ständigen Zweifeln und eben jener Angst vor der Angst begleitet.
Während der Vorbereitung habe ich die Wege genauestens studiert, alles gelesen und angeschaut, was ich über den Cerro Cristal in die Finger bekommen konnte.
"Schwer" stand da, und "exponiert".
Bis zum heutigen Tag hatte ich Zweifel, ob ich den Abstieg schaffen würde.
(Denn du kannst ja nicht mal "normale" Wege begehen -, Stimme in meinem Kopf)
Und Angst davor, es nicht zu können. Denn was dann?
Muss ja irgendwie, Zurück ist keine Option!
Das denke ich, als ich oben stehe.
Sieht auch gar nicht so schlimm aus.
Während des Abstiegs denke ich: "Es geht. Aber ich möchte so etwas nie wieder erleben."
Dann wieder: "Es geht nicht! Ich komme hier nicht runter! Aber zurück geht auch nicht!"
STOPP!!! Schreie ich mir selbst ins Gesicht.
Ich beginne tief und gleichmäßig zu atmen, wie ich das in meiner Wohnung oft geübt habe.
Ich mache nichts außer Atmen und mir selbst zu sagen, dass ich das schaffe.
Plötzlich die Erkenntnis: In dieser einsamen Stille zeigt keiner mit dem Finger auf mich. Außer ich selbst.
Ich rüge mich für meine Strenge, die hier so völlig fehl am Platz ist. Und atme weiter.
Ich nehme die eigene Angst an der Hand, es ist völlig okay, dass sie da ist.
Während ich ausatme setze ich den rechten Fuß auf den Felsen, lasse die Angst los, um mich und meinem Rucksack mit beiden Händen hochzuziehen. Elegant sieht das mit Sicherheit nicht aus, wie ich da wie ein Elefant über die Felsen kraxele. Aber das ist egal. In diesem Moment ist alles egal. Es geht nur darum, sicher über den Felsen zu kommen. Es klappt!
Die Jungs geben mir klare Anweisungen. Ich stemme mich nicht dagegen, sondern befolge sie. Es tut gut, starke Begleiter dabei zu haben.
Auch so eine Sache, vor der ich davor Angst hatte. Denn ich wollte ja selbst stark sein.
Lass diesen ewigen Konkurrenzkampf sein!
Steigere keine Adjektive in deinem Kopf!
Nimm die Hilfe an!
Vergiss, was andere in dieser Situation machen würden!
Das Leben ist verdammt noch mal nicht Instagram, wo einem geschminkte Realitäten glaubhaft gemacht werden!
Was soll ich sagen?
Es ging.
Ich habe mich heute der Angst gestellt.
Die Angst wird mich auch auf meiner nächsten Tour wieder besuchen und begleiten. Das weiß ich. Aber neben der Angst hat es sich ein weiterer Gast in meinem Inneren bequem gemacht, der sich unbeschreiblich gut anfühlt: die Freude, das Echo des Stolzes, „es“ geschafft zu haben!
Und so kommt es, dass hier in der patagonisch-stillen Nacht das Eigentlich-Gespenst meine Gedanken aufwühlt.
Eigentlich war es doch gar nicht so schlimm. Eigentlich kannst du das oder Ähnliches wiederholen.
Zwischen eigentlich und eigentlich verkrieche ich mich ins Zelt.
Denn eigentlich bin ich hundemüde.
Morgen wollen wir unseren müden Muskeln einen Ruhetag gönnen.
Der Ort ist wunderschön, wir haben keine Eile und genießen die Einsamkeit – außer uns sind keine anderen Wanderer da.
Der schwarze Strand lädt zum Sonnenbaden und die Lagune zu einer eisigen Erfrischung ein.
Außerdem müssen wir ein paar Kleidungsstücke nähen.
Zu tun gibt es also genug an unserem wanderfreien Tag.
Auf einen Blick: Mallín del Mate Dulce bis Laguna Cretón
- Entfernung: 4,5 Kilometer
- Höhenmeter: ↗ 511 m, ↘ 367 m
- maximale Höhe: 1942 m (Cerro Cristal)
- Dauer: 5 Stunden (ca. 6-7 inklusive unserer langen Pause auf dem Cerro Cristal)
- Schwierigkeit: schwer (Einschätzung der argentinischen Nationalparkverwaltung und des Club Andino)
Die Laguna Cretón verfügt über keine Hütte, zelten ist erlaubt. Die Lagune ist dem Wind stark ausgesetzt, am besten man zeltet rechts am Strand bei den Felsen. Oder weiter unten zwischen Lenga-Bäumen (hier zuvor den Wasserstand der Naturbecken prüfen. Wenn diese kein Wasser führen, bekommt man hier kein Trinkwasser).
- Laguna Cretón: Selbstversorgung
- Wasser: aus der Lagune (evtl. entkeimen durch Abkochen, Wasserfilter, Chlortabletten o.Ä.) bzw. aus dem Bach, wenn er nicht wie bei uns trocken ist
- Toilette: ja, die Natur (nicht in Wassernähe!). Denk daran, Deine Hinterlassenschaften gut zu begraben und Deinen Müll mitzunehmen!
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