Schwüle Temperaturen von nicht selten über 30 Grad haben auch Ende Februar Buenos Aires fest im Griff. Das hält die Porteños aber nicht davon ab, sich in bunte Kostüme zu werfen und im Rahmen lebhafter Straßenumzüge ihre lang erprobten Tänze, Lieder und Reden aufzuführen. Karneval in Buenos Aires ist eine fröhliche Mischung aus Musik, Tanz und Theater und ein fester Bestandteil der hiesigen Kultur. Besonders die Murga, eine spezielle Form der Straßenperformance, spielt eine zentrale Rolle.
Carnaval Porteño - Ausdruck einer Stadt im Wandel
Der Karneval in Buenos Aires ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklungen und kulturellen Einflüsse, die die Stadt seit ihrer Gründung geprägt haben. Von seinen Anfängen während der Kolonialzeit über Phasen des Verbots bis hin zur Wiederbelebung in der heutigen Zeit erzählt der "Carnaval Porteño" die Geschichte einer Stadt in ständigem Wandel.
Die Ursprünge des Karnevals in Buenos Aires
Der Karneval wurde von den spanischen Kolonialherren nach Buenos Aires gebracht. Als Fest mit heidnischen Wurzeln, das jedoch eng mit dem Christentum verbunden ist, markierte der Karneval die Tage vor der Fastenzeit, in der der Verzicht auf Fleisch und andere Genüsse vorgeschrieben war. Es gab privat organisierte Maskenbälle in den Theatern der Stadt, während sich andere Festivitäten im öffentlichen Raum abspielten. Die Plätze und Straßen wurden zur Bühne für Tanzvorführungen und Wasserspiele.
Von Balkonen aus wurden Passanten mit Wasser überschüttet, sei es mit duftendem Lavendelwasser für Freunde oder salzhaltigem Wasser für weniger geschätzte Personen. Diese ausgelassenen und oft chaotischen Feiern stießen jedoch bei der Oberschicht auf Ablehnung, die sie als „barbarische Sitten" betrachtete. Diese Haltung führte dazu, dass bestimmte Bräuche, insbesondere jene der afro-argentinischen Gemeinschaft, verboten wurden. Zwischen 1770 und 1784 wurden öffentliche Tänze auf geschlossene Räume beschränkt, und das Trommeln, ein zentrales Element der afrikanischen Kultur, wurde mit körperlichen Strafen und Gefängnis geahndet.
Unterdrückung und Verbot
Die Spannungen zwischen den ausgelassenen Karnevalsfeierlichkeiten und den Bemühungen der Obrigkeit, „Ordnung und Moral“ aufrechtzuerhalten, führten im Laufe der Jahre zu mehreren Verboten und Einschränkungen. Während der Regierungszeit von Juan Manuel de Rosas (1829–1852) wurden Karnevalsfeierlichkeiten per Dekret verboten. Erst 1854, nach dem Ende seiner Herrschaft, erlaubte die Regierung von Buenos Aires wieder Maskenbälle und Wasserspiele.
Sarmiento & die Transformation des Karnevals
Ein Wendepunkt in der Geschichte des Karnevals in Buenos Aires markierte die Präsidentschaft von Domingo Faustino Sarmiento. Während einer Reise nach Europa im Jahr 1845 nahm er an den Karnevalsfeierlichkeiten in Italien teil und war besonders von den venezianischen Masken und der Idee fasziniert, dass Verkleidungen soziale Unterschiede für einen Moment aufheben könnten. Beeindruckt von diesen Erfahrungen förderte Sarmiento 1869 den ersten offiziellen Karnevalsumzug in Buenos Aires. Diese Veranstaltungen wurden von Umzügen und Tänzen dominiert, die hauptsächlich aus afro-argentinischen Mitgliedern bestanden und zu den Hauptattraktionen zählten. Die Teilnahme der afro-argentinischen Gemeinschaft am Karneval war nicht nur ein Ausdruck ihrer kulturellen Identität, sondern auch eine Gelegenheit, ihre Musik, Tänze und Traditionen öffentlich zu präsentieren.
Einfluss von Einwanderern & die Entwicklung der Murga
Im 20. Jahrhundert prägten europäische Einwanderer, insbesondere aus Italien und Spanien, den Karneval in Buenos Aires maßgeblich. Sie brachten eigene Rhythmen, Tänze und Kostümtraditionen mit, die sich mit den bestehenden Bräuchen vermischten. In dieser Zeit entwickelte sich die Murga zu einer dominierenden Ausdrucksform des Karnevals. Diese Straßenperformance kombiniert Tanz, Gesang und Percussion und spiegelt die vielfältigen kulturellen Einflüsse der Stadt wider.
Die Murga wurde zu einem Mittel für soziale und politische Reden, wobei die satirischen Texte oft aktuelle Ereignisse und Missstände thematisierten. Während der Militärdiktatur ab 1976 wurden Karnevalsfeierlichkeiten erneut verboten, und viele Murgas mussten ihre Aktivitäten einstellen oder in den Untergrund verlegen.
Karneval in Buenos Aires heute
Mit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1983 begann eine langsame Wiederbelebung des Carnaval Porteño. Obwohl die offiziellen Feiertage erst 2010 wieder eingeführt wurden, kehrten viele Murgas und Karnevalsgruppen in die Straßen zurück und erneuerten die Traditionen.
Heute ist der Karneval in Buenos Aires ein lebendiges Fest, das die reiche kulturelle Vielfalt und die Geschichte der Stadt feiert. Die Veranstaltungen bieten eine Bühne für künstlerischen Ausdruck, soziale Interaktion und das Bewahren von Traditionen, die über Generationen weitergegeben wurden. Trommeln und Gesänge begleiten weiterhin die energiegeladenen Performances, die auch heute oft soziale und politische Themen aufgreifen und diese in ironisch-satirischer Form wiedergeben.
Die Murga: Herzstück des Karnevals in Buenos Aires
Eine der bekanntesten und faszinierendsten Traditionen des bonaerensischen Karnevals ist heute die Murga. Dabei handelt es sich um eine Straßenperformance, die Tanz, Gesang und Percussion kombiniert. Die einzelnen Gruppen bestehen oft aus Dutzenden von Mitgliedern und repräsentieren verschiedene Stadtviertel oder Regionen des Landes.
Charakteristika der Murga
- Tanz: Die Tänzer der Murga führen akrobatische Sprünge und schnelle Schritte aus, die teilweise an Capoeira erinnern.
- Musik: Die Percussion-Instrumente, insbesondere Trommeln, geben den Rhythmus vor.
- Kostüme: Die Murga-Mitglieder tragen farbenfrohe, oft mit Pailletten verzierte Anzüge mit langen Fracks, die sie größtenteils selbst entwerfen und schneidern.
- Texte: Die Lieder und Reden enthalten meist sozialkritische Texte, die aktuelle politische und gesellschaftliche Themen ansprechen.
Jedes Jahr treten die verschiedenen Murga-Gruppen in Buenos Aires in einem Wettbewerb gegeneinander an. Die Auftritte sind mitreißend und voller Energie, was die Zuschauer immer wieder begeistert.
In Buenos Aires konzentrieren sich die Karnevalsfeiern auf verschiedene Stadtviertel, insbesondere in den südlichen und westlichen Barrios wie San Telmo, Boedo, Almagro und La Boca. Während des gesamten Monats Februar gibt es Straßenparaden, Tanzvorführungen und Open-Air-Konzerte. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten sind die sogenannten „Corsos“ – farbenfrohe Umzüge mit Tanzgruppen, Musikern und natürlich den Murga-Truppen. Besucher können sich auf spektakuläre Shows, interaktive Events und jede Menge gute Laune freuen - und darauf, ordentlich mit Spritzschaum eingeseift zu werden. Denn die Spraydosen sind mittlerweile ebenso fester Bestandteil des Carnaval Porteño wie die Murgas. Aus diesem Grund lasse ich die Kamera während der Umzüge zu Hause.
Die Umzüge am Karnevalswochenende finden meist ab 16 Uhr statt und dauern gut und gerne bis 2 Uhr oder länger. Wie immer in Buenos Aires gilt: Je später der Abend, desto mehr Publikum.
Karneval in Buenos Aires: auch die Kleinen sind am Start
Karneval in Argentinien
Obwohl Buenos Aires ein wichtiger Ort für den argentinischen Karneval ist, gibt es andere Städte, in denen die Feierlichkeiten noch größer und farbenprächtiger ausfallen. Zu den bekanntesten Karnevalshochburgen gehören:
Gualeguaychú – das argentinische Rio
Die Stadt Gualeguaychú in der Provinz Entre Ríos ist für ihren beeindruckenden Karneval bekannt, der zu den bekanntesten in Südamerika zählt. Die Feierlichkeiten hier erinnern stark an den brasilianischen Karneval mit prächtigen Kostümen, aufwendigen Wagen und mitreißenden Sambaklängen. Der Karneval in Gualeguaychú findet im „Corsódromo“ statt, einem speziell für die Paraden erbauten Stadion. Die Unterkünfte sind am Karnevalswochenende Monate im Voraus bereits ausgebucht.
Corrientes – die Stadt der argentinischen Samba
Auch in Corrientes wird ausgelassen Karneval gefeiert. Die Stadt organisiert große Paraden mit Sambaschulen, die sich in spektakulären Tänzen messen. Die Wurzeln des Karnevals in Corrientes sind eng mit der afro-brasilianischen Kultur verbunden, was sich in der Musik und den Tänzen widerspiegelt.
Jujuy – Karneval mit andinen Einflüssen
In der Provinz Jujuy sind die Tänze, Musik und Rituale stark von indigen-andinen Einflüssen geprägt. Die Feierlichkeiten ähneln denen in Bolivien (z.B. der berühmte Karneval von Oruro). Eine der bekanntesten Traditionen ist das „Desentierro del Diablo“ (das Ausgraben des Teufels), eine Zeremonie, bei der eine Teufelsfigur aus der Erde geholt wird, um den Beginn der Festlichkeiten zu markieren.
Ob in Buenos Aires mit den energetischen Murga-Gruppen oder in Gualeguaychú mit den ausgelassenen Paraden – der argentinische Karneval ist ein beeindruckendes Erlebnis (egal, ob man Karneval-Fan ist oder nicht).
Die Geschichte des Karnevals in Buenos Aires zeigt, wie kulturelle Praktiken trotz Unterdrückung und Wandel überleben und sich an neue Gegebenheiten anpassen können. Er bleibt ein lebendiges Zeugnis für den Widerstand und die Kreativität der Gemeinschaften, die die Stadt geprägt haben.
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Frie (Freitag, 28 Februar 2025 10:46)
Hola Sim, du hast einen lebhaften und sehr interessanter Artikel über den Karneval von Buenos Aires zusammen gestellt.
Ich freue mich schon die weiteren Artikel zu lesen..
Liebe Grüße aus dem kalten Schwabaländle....
Argentinien 24/7 (Freitag, 28 Februar 2025 11:10)
Hola Frie, schön, dass Dir der Artikel gefällt!� Viel Spaß bei der weiteren Lektüre. Liebe Grüße aus dem schwülen BsAs